JOHN UND JEAN COMAROFF Martin Jägel
& Eva Neukirchner 1. Zur Person Graduiert an der
University of Cape Town, sind John und Jean Comaroff Vordenker und Ideengeber
in vielen Teilgebieten der Ethnologie. Ihr akademischer Durchbruch erfolgte an
der University of Chicago, wo sie auch ihren thematischen Schwerpunkte
entwickelten. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit steht das Neudenken politischer
Prozesse im Kontext der Globalisierung. Leitgedanke ihrer Arbeit ist die Frage,
inwiefern Praxis, Materialismus und Hegemonie die Strukturen von Macht und
Handlungsfähigkeit beeinflussen. Forschungen jüngster Zeit beschäftigen sich
mit der seit dem Kalten Krieg veränderten Weltordnung und den beiden
Schlagworten Neomodernität und Millenniumskapitalismus. Mit ersterem gemeint
sind neue Formen der sozialen Interaktion, die durch den technischen
Fortschritt konstituiert sind, letzeres bezieht sich auf die Veränderung der
globalen Produktionsbedingungen durch die Transnationalisierung der
Produktionsprozesse. Jean und John Comaroff führten einen Großteil
ihrer Feldforschungen in Südafrika und Großbritannien durch. Schwerpunkte ihrer
Forschungen sind unter anderem Kolonialismus, Modernität, Rituale und
Medizinethnologie. Gegenstand ihrer jüngsten Forschungen waren normative Ordnungen
und Staatssouveränität im postkolonialen Kontext. Seit 2012 lehren beide am Department of
African and African American Studies an der Harvard University.
Basierend auf der Vormarsch von Demokratien und Neoliberalismus seit Ende des Kalten Krieges konstatieren die Comaroffs in ihren Buch „Law and disorder in the postcolony“ eine weltweite Zunahme von Krieg und Gewalt, vornehmlich in den Postkolonien, den Nationalstaaten, in denen die Herrschaft des Rechts und die repräsentative Regierung unterentwickelt sind. Leitfrage ist dabei, inwiefern Staatsverfall, Unordnung und Kriminalität mit Demokratisierung zu tun haben. Ein Schlüsselkonzept ihrer Untersuchung ist dabei Lawfare, was einen Prozess bezeichnet, bei dem die Macht und Gewalt, die eine legale Instanz bietet zur Durchsetzung politischer Ziele gebraucht wird. Damit einher geht die Fetischisierung des Rechts, womit gemeint ist, dass Herrschaft und Primat des Rechts von allen Beteiligten respektiert wird, auch wenn sie selbst im Geiste oder tatsächlich brechen. Die 2012 erschienene
Aufsatzsammlung „Der Süden als Vorreiter der Globalisierung“ umfasst die
Hauptthemen der Forschungsarbeiten aus den letzten 20 Jahren und veranschaulicht
die Denkposition der Comaroffs. Es werden zwei zentrale Thesen formuliert: (a) Während die Moderne als ein
euroamerikanisches Konstrukt aus dem Westen gesehen wird, postulieren die
Comaroffs, dass es verschiedene Modernen gibt, die durch einen welthistorischen
Prozess herausgebildet werden. Daher darf die Moderne aus dem globalen Süden
nicht als Ableger eines westlichen „Originals“ gesehen werden. Ebenso vertreten
die Comaroffs die These, dass der Süden sich nicht an einem Vorbild westlicher
Entwicklung orientiert. Eigentlich ist es sogar der Süden, der die Zukunft des
Nordens präfiguriert. So sehen sich Nationalstaaten in der westlichen Welt
beispielsweise mit vermeintlich typisch südlichen Problemen wie de
Fetischisierung des Rechts und der Aufspaltung staatlicher Souveränität
konfrontiert. Der Neoliberalismus wurde zuerst im globalen Süden ausgetestet,
ehe er die westlichen Staaten erreicht hat. So entwickelt sich Euroamerika
vielmehr nach dem Vorbild südlicher Staaten als umgekehrt. Aus diesem Grund
sehen die Comaroffs auch den globalen Süden als das neue Zentrum für
Theoriebildung. (b) Als eine Entwicklung, die durch den Vormarsch des Neoliberalismus bedingt ist, wird beispielsweise die Herausbildung eines sogenannten Milleniumskapitalismus genannt. Diesem Kapitalismus wird eine besondere Kraft beigemessen und soll den Wohlstand der Welt aufgrund unglaublicher Wirkungsweisen sicherstellen. Ein Merkmal dieses Kapitalismus sind okkulte Ökonomien, durch die Reichtum durch magische Techniken erzeugt wird. Auf verschiedene Formen okkulter Ökonomie wie beispielsweise Ritualmorde, der Verkauf von Körperteilen und die vermeintliche Zombifizierung von Toten zur Erzeugung kostenloser Arbeitskraft gab es vielerorts zu gewaltsame Reaktionen. Den Comaroffs zufolge ist dies eine der negativen Auswirkungen der Globalisierung. 3. Methode Die Comaroffs betreiben insgesamt eine Ethnologie, die stark auf feldforschungsorientiert ist. Einen besonderen Schwerpunkt legen sie zudem auf eine historische Perspektive in ihrer Arbeit. Eine ihrer großen Leistungen ist es ihre ethnographisch erhobenen Forschungsergebnisse soweit zu abstrahieren, dass es ihnen gelingt diese auf eine globale Ebene zu heben und so ganzheitliche Theorien für das Fach hervorzubringen. 4. Einordnung zum Vergleich (gegenüber) anderen zeitgenössischen Ethnologen Würde sich die
Ethnologie also nach dem Vorbild von Jean und John Comaroff weiterentwickeln,
so würden zukünftige Forscher stark forschungsbasiert arbeiten. Ihre Ergebnisse
würden sie in ihrem historischen Kontext einbetten und aber versuchen
darzustellen, wie ihre Erkenntnisse die globale Welt beeinflussen. 5. Kritik Obwohl ihr Beitrag zur ethnologischen Forschung durchaus relevant
und gewinnbringend ist, ist es umso bedauerlicher dass das Weltbild der
Comaroffs ein sehr Negatives zu sein scheint. Sie decken zum Beispiel viele
Schattenseiten der Globalisierung auf, jedoch scheinen sie komplett
auszublenden, dass ebendiese auch viele Vorteile und Nutzen mit sich bringt. 6. Wichtige Veröffentlichungen
Comaroff, Jean (1985): Body of power,
spirit of resistance. The culture and history of a South African people.
Chicago (u.a.): University of Chicago Press. Comaroff, Jean und John Comaroff (1991): Of
revelation and revolution Vol 1. Chicago (u.a.): University of
Chicago Press.Comaroff, Jean und John Comaroff (1997): Of
revelation and revolution Vol 2. Chicago (u.a.): University of
Chicago Press. Comaroff, Jean und John L. Comaroff (1999): „Occult
economies and the violence of abstraction. Notes from the South African
postcolony“. In: American Ethnologist 26(2):279-303. Comaroff, Jean und John L. Comaroff (2006): Law
and disorder in the postcolony. Chicago: University of Chicago Press. Comaroff, Jean und John L. Comaroff (2010):
„Millennial capitalism. First thoughts on a second coming“. In: James, Paul und
John Tulloch (Hg.): Global-local consumption (Globalization and culture
3). Los Angeles (u.a.): Sage, S. 314-353. Comaroff, Jean und John Comaroff (2012): Der Süden
als Vorreiter der Globalisierung. Frankfurt am Main (u.a.): Campus
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Veröffentlicht am 24.04.2015 |