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Anmerkung zur Bildauswahl:
Das Bild bezieht sich auf Produktionsverhältnisse
und ökonomische Realitäten, welche den kulturellen Alltag und das Soziale
verändern. Das Bild soll den Leser aufgrund seiner eignen Erfahrungswelt ansprechen
und lädt durch den provokativen Vergleich zu einer evolutionistischen
Entwicklungslinie zur Reflexion an. Der Text bietet für eben diese (Selbst-)
Reflexion die Grundlage. |
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MARSHALL SAHLINS
von Philipp Fritz
1. Zur Person
Das Studium zog den
us-amerikanischen Kulturantrhopologen Marshall D. Sahlins (*1930) aus seiner
Heimatstadt Chicago an die Universität von Michigan und hierauf folgend für seinen
Ph.D. an die Columbia Universität. Kurz nach dem Erhalt der Doktorwürde im Jahr
1954 kehrte er an die Universität von Michigan zurück, an welcher er als Dozent
tätig wurde. In den Zeitraum der 1970er fällt sein politisches Engagement gegen
den Vietnamkrieg sowie ein insgesamt zweijähriger Aufenthalt in Paris, wo er
sich in besonderem Maße dem Werk von Claude Lévi-Strauss widmete. 1973 folgte
Sahlins dem Ruf an die Universität von Chicago, an welcher er den Lehrstuhl für
Cultural Anthropolgy annahm. Bis zum
Jahre 1999, dem Jahr seiner Emeritierung, hielt er den Lehrstuhl und lebt bis
heute in Chicago.
2. Der Ethnologe
Überfluss und Wohlstand
Sahlins
steht für eine neue Perspektive auf die ökonomischen Entwicklungstheorien und des
in Verbindung stehenden Fortschrittsgedanken. Sich auf empirische Studien und
ethnografische Forschungsergebnisse stützend stellt er auf Grundlage der
vorherrschenden Ökonomien Jäger- und Sammlergesellschaften als die ursprünglichen Überflussgesellschaften
heraus. Diese zeichnen sich ihm nach durch ihre ökonomischen Motivationen und
materiellen Zielsetzungen von den scheinbar moderneren,
im Schwerpunkt westlichen, Überflussgesellschaften ab. Der geringere Bedarf und
die weniger weitreichende materielle Nachfrage ziehen ein deutlich geringeres
Arbeitspensum nach sich, als welches in anderen Überflussgesellschaften, die
sich dem Primat der umfangreicheren und technisch schwerer realisierbaren
Produktionszielen und somit einem höheren Arbeitsaufwand unterwerfen, vorzufinden
ist. Auf dieser Grundlage argumentiert Sahlins gegen die neoklassische Theorie,
welche eine Maßlosigkeit in den Punkten Produktion und Bedürfnis unterstellt,
die infolge ebenfalls die ökonomische Praxis bestimmt. Vielmehr erkennt Sahlins
in aufwendigeren Produktionsverhältnissen keine prinzipielle Verbesserung der
Nahrungsgewinnung oder eines effizienteren Zeitmanagement.
Kulturökologie
Für Sahlins zieht sich
Frage nach dem Verhältnis von Ökonomie und Kultur durch sein gesamtes Werk. Sein
Blick fällt auf die Produktionsverhältnisse, welche seiner Argumentation
folgend in Hinblick auf ihren Vorteil nur kulturspezifischen zu bewerten seien.
Somit unterliegen die gesellschaftlichen Ökonomien zwar weiterhin einer Ordnung
im Sinne eines nach Lévi-Strauss definierten Strukturalismus, jedoch bestimmt
die Kultur den "Wert" der ökonomischen Praxis oder des Materiellen an
sich. Kultur wird zu einem unabdingbaren Bezugsfaktor für Entwicklungstheorien
und durch Sahlins aus der Rolle eines ökonomischen Produktes genommen. Eine ethnozentristische
Annahme des homo economicus, der ein
stetiges Profitstreben verkörpert, verliert nach Sahlins ihre globale Gültigkeit
und den Eigenanspruch an Rationalität. Denn die Überflussgesellschaft definiert
sich nicht über die Zahl der zur Verfügung stehenden Produktionsgüter, sondern
durch die Beschränkung der eigenen Bedürfnisse.
3. Methode
Im Rahmen kulturtheoretischer
Analysen, welche die Rahmenbedingungen sowie die Akteure, und nicht die Produktionsverhältnisse,
zum Gegenstand haben, verfolgt Sahlins einen historischen Ansatz. Es steht ein
im historischen Materialismus verankerter Erklärungsversuch im methodischen
Zentrum, welcher in Übertragung auf empirisches, historisches und
ethnografisches Material als Analyseinstrument dient. Sahlins verfolgt
letztendlich eine wirtschaftsethnologischen Annahme, welche mit dem Bezugsfaktor
des kulturellen Alltags um einen semiotischen Ansatz erweitert wird. Kultur
wird bei Sahlins zum strukturallen Ergebnis des Sozialen und bildet das
Fundament der ökonomischen Wirklichkeit. Sahlins Analysen und Theorienbildung
bauen auf dieser Annahme auf und werden durch die interpretative Einbindung empirischer
sowie handlungsbezogener Perspektiven ergänzt.
4. Einordnung und Position
Während seines Studiums wurde Marshall D. Sahlins bereits durch Leslie A. White und
Claude Lévi-Strauss und Julian Steward intellektuell beeinflusst. Gerade
die Kritik an White und Marx führt ihn jedoch zu der Erkenntnis um die
Wirkkraft der Kultur, welcher er einen biologisch begründeten Ursprung und eine
materielle Bindung abspricht. Dieser kulturellen Wirkkraft gibt er einen Rahmen,
der es vermag den Strukturalismus nach Claude Lévi-Strauss in Bezug auf die
Schaffung eines Werte- und Zeichensystems mit der Kulturdefinition von Franz
Boas zu verknüpfen. Mit diesem Unterbau nimmt Sahlins mit weiteren Wirtschafts-
und Sozialhistorikern eine substantivistische Gegenposition ein. Eben diese
Ausgangslage und der in ihr mitschwingenden prinzipiellen Möglichkeit einer
Kehrtwende im Denken um rationalisierte und ökonomischer Prozesse findet immer
wieder Beachtung. So wird weiterhin interdisziplinär die Annahme aufgegriffen, dass
es Kultur und Zielvorstellungen sind, welche die ökonomische und
gesamtgesellschaftliche Praxis bestimmen. Sahlins Perspektive, seine indirekte Kritik
am american way of life und sein Methodenspektrum
bleiben aktuell und nehmen infolge eine alte und zugleich neue Position im
Theoriendiskurs ein, welche sie bereits in den 1990er Jahren in einem
Schlagabtausch mit Gananath Obeyeskere inne hatten. Hierbei stand Sahlins
Vorwurf einer ethnozentristisch motivierten Absprache von Rationalität
indigener Völker im Mittelpunkt. Eine Kampfansage an westliche Entwicklungsmodelle.
Später wurde Sahlins Kulturökologie auch durch den us-amerikanischen Ethnologen
und politischen Aktivisten David Graeber aufgegriffen.
5. Kritik
Sahlins Kulturverständnis ist eine Kritik am Umweltderterminismus und der
essentialistischen Vorstellung, dass Kultur stets die Konsequenz von
Umweltbedingungen und hieraus abgeleiteten Produktionsverhältnissen sei. Doch
Sahlins' kulturhistorische Analysen neigen zu einer Überhöhung der Kultur. In
diesem Zusammenhang werden andere Elemente des sozialen Alltags ausgeblendet
und finden nur an Randbereichen Eingang in seine Arbeiten. Sahlins Arbeiten
werden durch die Annahme der herausragenden Stellung von Kultur im Prozess gesellschaftlicher
Aus- und Umformungen in solchem Maße beeinflusst, dass materielle, ökonomische
und weitere gesamtgesellschaftliche Bedingungen nicht den nötigen Eingang in
seine Theorienbildung finden. Sahlins ist es nur um den Preis einer sehr engen
Entwicklungstheorie, in welcher der Glorifizierung des Indigenen Vorrang
gegeben wird, möglich, auf einer kulturellen Argumentationsline dem evolutionistischen
Gedanke argumentativ zu begegnen. Wobei die tatsächliche empirische Datenlage
und deren Überprüfung in Bezug auf das Arbeitspensum der angeführten Jäger- und
Sammlergesellschaften, den nach Sahlins ursprünglichen
Wohlstands- gesellschaften, seinen Thesen nicht Stand halten konnten. Dies ändert
jedoch nichts an der grundsätzlichen Kritik seinerseits an postkolonialen
Ordnungen und der Idee der Übertragbarkeit eines ökonomisierten Blicks auf die
Welt. So steht der Name Sahlins letztendlich für einen kulturgeschichtlichen
Ansatz, welcher die Anerkennung einer nicht-eurozentristischen Geschichte
stützt, zugleich allerdings Gefahr läuft durch die Überbetonung Kulturen zu
homogenisieren und zu infolge auch zu exotisieren.
6. Wichtige Veröffentlichungen
(1972): Stone Age Economics. New York: Aldine
(1976): Culture and Practical Reason. Chicago: University of Chicago Press
Deutsche Ausgabe (1981): Kultur
und praktische Vernunft. Suhrkamp, Frankfurt am Main
(1977): The Use and Abuse of Biology. An Anthropological Critique of
Sociobiology. Ann Arbor: Univ. of Michigan Press,
(1981): Historical Metaphors and Mythical Realities.
Deutsche Ausgabe (1986): Der Tod
des Kapitän Cook. Geschichte als Metapher und Mythos als Wirklichkeit in der
Frühgeschichte des Königreichs Hawaii. Berlin: Wagenknecht
(1987): Islands of History. Chicago: University of Chicago Press.
Deutsche Ausgabe (1992): Inseln der
Geschichte. Übersetzt von Ilse Utz. Hamburg: Junius
(1988): Evolution and Culture.
University of Michigan Press, Ann Arbor
(1995): How "Natives" Think. About Captain Cook, for Example.
Chicago: University of Chicago Pres
(2000): Culture in Practice. Selected Essays. New York: Zone Books
(2008): The Western Illusion of Human Nature. Chicago: Prickly
Paradigm Press.
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